Die Christliche Akademie ist eine gemeinnützige Denk-, Förder- sowie Fortbildungseinrichtung des Verbandes Christlicher Hoteliers e.V. (VCH)
Die Christliche Akademie ist eine gemeinnützige Denk-, Förder- sowie Fortbildungseinrichtung des Verbandes Christlicher Hoteliers e.V. (VCH)
Ihre Themen sind dabei weit gewählt. Lebens-Werte, Wirtschaftsethik, Studienreisen, Fortbildung, Bibelbasis, Kultur, Konzerte: Das ist der thematische Rahmen, den Besucherinnen und Besucher bei der Christlichen Akademie abrufen sowie für sich nutzen können.
Die Akademie macht es sich zur Aufgabe, das besondere Profil des Verbandes mit dem „C“ in seinem Namen herauszustellen sowie der Öffentlichkeit zu vermitteln. Vielfältigkeit und Pluralität bedeuten für die Christliche Akademie Wirklichkeit abbilden, Standort bestimmen.
Die eigenen Wertvorstellungen im Kontakt mit Gästen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie gegenüber der Öffentlichkeit einzubringen im Respekt vor Anderen, ist das Interesse der Christlichen Akademie. Sie setzt auf Professionalisierung, besonders in Ihrem ureigenen Gebiet: Gastfreundschaft sowie „Charm des Glaubens“.
Die Akademie betont den kleinen Unterschied zu Anderen: Das Qualitätsgeheimnis christlicher Gastfreundschaft durch Erinnern, Sorgen, Danken. Die VCH Akademie wendet sich an Menschen, die Fragen und Antworten zu Kultur, Wirtschaft, Philosophie sowie Theologie haben. An Menschen, die die Begegnung genauso wie den Austausch suchen sowie einen Ort finden wollen, der Sinne, Seele und Verstand gleichermaßen inspiriert.
Der gemeinnützige Verband hat heute die Aufgabe der Fort- und Weiterbildung – auch in Form der VCH e.V. eigenen Christlichen Akademie – sowie die Herausgabe von christlichem Schrifttum – dies vor allem in Form der Gästezeitschrift „VCH Magazin“. Außerdem ist der Verband alleiniger Gesellschafter der VCH Hotelkooperation GmbH – und als solches den meisten Kunden bekannt -, die die Aufgabe hat, die Häuser in Deutschland zu vermarkten und die angeschlossenen Häuser in die Lage zu versetzen das Motto der Gründerväter: „Der Mensch braucht ein Zuhause, auch wenn er nicht zu Hause ist“ umzusetzen.
In diesen nicht ganz einfachen Zeit für uns alle, müssen wir ständig umdenken, verändern sich ständig die Rahmenbedingungen, sind wir mit ganzem Verstand und ganzem Herzen ständig gefordert. Der Leiter der VCH-Akademie Wolfgang Teichert nimmt dies zum Anlass unseren Blick einmal auf andere Dinge zu lenken. Er möchte damit nicht ablenken, sondern uns anregen.
In loser Reihenfolge wollen wir Ihnen hier immer mal wieder einen dieser „DENKANSTÖSSE“ geben.
Ohne dies Wort kommt keine Nachricht, keine Information, keine Rede mehr aus: Maßnahme. Maßlos, geradezu inflationär überschwemmt es unsere Sprache. Hier die Sammlung einer Woche Zeitung lesen und Nachrichten hören und Tagesschau sehen:
Hygienemaßnahme, Schutzmaßnahme, Abhörmaßnahme, Abrüstungsmaßnahme, Anti-Terror-Maßnahme, Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, Arbeitsmaßnahme, Ausbildungsmaßnahme, Begrenzungsmaßnahme, Behandlungsmaßnahme, Betreuungsmaßnahme, Bildungsmaßnahme, Brandschutzmaßnahme, Disziplinarmaßnahme, Einzelmaßnahme, Ergänzungsmaßnahme, Erweiterungsmaßnahme, Erhaltungsmaßnahme, Führungsmaßnahme, Gegenmaßnahme, Geheimhaltungsmaßnahme, Gesundheitsmaßnahme, Gleichstellungsmaßnahme, Identifizierungsmaßnahme, Instandhaltungsmaßnahme, Kommunikationsmaßnahme, Kompensationsmaßnahme, Konsultationsmaßnahme, Korrekturmaßnahme, Lebenserhaltungsmaßnahme, Lüftungsmaßnahme, Marketingmaßnahme, Massenmaßnahme, Notfallmaßnahme, Rettungsmaßnahme, Rüstungsmaßnahme, Sanierungsmaßnahme, Schutzmaßnahme, Sicherungsmaßnahme, Sofortmaßnahme, Sparmaßnahme, Sperrmaßnahme, Strafmaßnahme, Teilzeitmaßnahme, Trainingsmaßnahme, Umbaumaßnahme, Unterhaltungsmaßnahme, Vergeltungsmaßnahme, Vollzeitmaßnahme, Vorsichtsmaßnahme, Weiterbildungsmaßnahme, Wiederbelebungsmaßnahme, Willkürmaßnahme, Zensurmaßnahme, Zivilschutzmaßnahme Zwangsmaßnahme, Antiterrormaßnahme.
Maßnahmen sind zum Durchführen da; eine Vokabel aus Zeiten der Verordnungskultur. Man ergreift politische, praktische, radikale, außergewöhnliche Maßnahmen und führt sie durch, denn halbe Maßnahmen helfen nicht weiter. Aber gerade diese Maßnahme ist dringend erforderlich oder überflüssig oder sie kommt zu spät, wenn man jetzt mit drakonischen Maßnahmen gegen Terroristen und umherschießende Mörder vorgehen will. Entgegen allen Maßnahmen der Regierung aber verschlechtert sich die Lage weiter. Deswegen werden bald die strengen Maßnahmen der Regierung wieder etwas gemildert, weil man mit den angekündigten schroffen Maßnahmen wohl nicht mit dem geltenden Recht übereinstimmt? Was also wäre ein gutes Maßnehmen?
Ausatmen und dann in Ruhe einen Maßkrug leeren.
Wolfgang Teichert I Leiter der VCH Akademie
Joggen, laufen oder Spazierengehen: In diesen Zeiten – und nicht nur zu Ostern, wo ja schon längst Strom und Bäche vom Eise befreit waren – laden Wetter und die „Was tun Frage“ zum Denken im Freien ein. Draußen ist eine andere Luft, ein Wind, vielleicht der Duft von Blüten und Blättern. „In dieser coronaren Zeit“, schreibt eine Leserin dieser DENKANSTÖSSE, „ ist es doch auffällig, wie viele Menschen sich im Freien bewegen, sich durchlüften lassen (verbunden mit unterschiedlichsten Bewegungsformen).
Friedrich Nietzsche wollte, “keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung”. Das “Sitzfleisch” nannte der Philosoph “die eigentliche Sünde wider den Heiligen Geist”. Johann Gottfried Seume, der nach Syrakus wanderte, meinte, “dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge”, und stellte fest: “Wer zu viel im Wagen sitzt, mit dem kann es nicht ordentlich gehen.” Michel de Montaigne bekannte: “Meine Gedanken schlafen ein, wenn ich sitze. Mein Geist geht nicht voran, wenn ich nicht meine Beine in Bewegung setze. Dabei mag Ziellosigkeit ein Prinzip sein: Wohin ich gehe und wie lange, steht mir völlig offen. „Das regelmäßige Fuß-vor-Fuß-Setzen bei gleichzeitigem Rudern der Arme, das Ansteigen der Atemfrequenz, die leichte Stimulierung des Pulses, die zur Bestimmung der Richtung und zur Wahrung des Gleichgewichts nötigen Tätigkeiten von Auge und Ohr, das Gefühl der vorüberwehenden Luft auf der Haut – all das sind Geschehnisse, die Körper und Geist auf ganz unwiderstehliche Weise zusammendrängen. Und die Seele, auch wenn sie noch so verkümmert und lädiert ist, wachsen und sich weiten lassen. ( Patrick Süskind in seiner Novelle „Die Taube“)
Bewegung im Freien scheint eine besondere, Gedanken schaffende, Gefühle wirkende Kraft in sich zu tragen: Sie kann Trauer bannen, Leidenschaft mäßigen, Würde geben. Es gibt eine Art, die Füße frohlockend, selbstbewusst sowie befehlend aufzusetzen, zu der man kein bescheidenes oder niedergeschlagenes Gesicht machen kann. „Wie der Fuß den Takt schlägt, müssen die Augen tanzen“(so 1897 der Feuilletonist Hermann Bahr.) Und so meint denn auch Jean-Jaques Rousseau: „Ich kann nur beim Gehen nachdenken. Bleibe ich stehen, tun dies auch meine Gedanken; mein Kopf bewegt sich im Einklang mit meinen Beinen.“. Jeder Gang – ein Gedankengang jeder Schritt – ein Gedankenschritt.
Beruhigend zum Schluss der Däne Sören Kierkegaard:„Ich bin zu meinen besten Gedanken gegangen, und ich kenne keinen Gedanken, der so bedrückend wäre, dass man ihn nicht gehend hinter sich lassen könnte.“
Wolfgang Teichert I Leiter der VCH Akademie
Neu gelernt in diesen Tagen. Aber bereits in der Bankenkrise gehört: Systemrelevant. “Relevanz” von dem lateinischen Verb, “re-levare” heißt Zurückziehen des Segels, des Vorhangs, des Schleiers. Was für unser „System“ von Bedeutung, also systemrelevant ist, ändert sich, wie wir gerade erfahren, mit den Umständen. Eher bisher im Bezahlungs- und Anerkennungsschatten arbeitende Berufe sind von nun systemrelevant: Krankenschwester, Kraftfahrer, Kassiererin etc. Systemrelevant ist, was unser System „am Laufen“ hält.
In einem kritischen Zwischenruf hat vor einigen Tagen im bayrischen Rundfunk Matthias Morgenroth (Kinder-und Jugendbuchautor) auf eine andere Seite von Systemrelevanz hingewiesen:
„ Wer hat eigentlich entschieden, von was wir leben, was “systemrelevant” für eine Gesellschaft ist, und nach welchen Kriterien das entschieden wird? Wenn eine Gesellschaft auf vegetative Vitalfunktionen reduziert wird, wird sie ins künstliche Koma gelegt, und das kann sehr schnell bedeuten: Sie vegetiert nur noch dahin. Lange ist das nicht durchzuhalten, dann wird aus dem Koma zu Therapiezwecken der Exitus.
Was wir erleben, ist, dass alles Geistige und alles Geistliche zum Überflüssigen erklärt wird – aus virologischer Sicht richtig. Aber sind auch Soziologen, Sozialpsychologen oder gar Seelsorger gefragt worden, wie viel man einer Gesellschaft wegnehmen kann und darf, bevor sie ihren Geist verliert. Denn es ist ja ein Tiefschlaf bei vollem Bewusstsein, in den sie geschickt wird – und das ist ein beklemmender Zustand.
Mich hat irritiert, mit welcher Selbstverständlichkeit die Kirchen in vorauseilendem Gehorsam noch vor dem offiziellen Gottesdienstverbot beschlossen haben, ihr Herzstück, ihre Gottesdienste aufzugeben – und damit ungewollt zu etwas Überflüssigen zu erklären – nicht “systemrelevant” eben. Mit etwas Phantasie und Vorsicht hätte man doch zumindest Zehn-Minuten-Andachten im Stehen anbieten können oder dergleichen. Brot darf es noch geben, im Supermarkt. Ihr Brot des Lebens sahen die Kirchen offenbar nicht als so wichtig an, um es zu verteidigen. Stattdessen stand über allem Nächstenliebe und Solidarität.“ Und er fügt hinzu: „Kirche, Theater, Kino, Kunst im Allgemeinen – wir werden nicht daran sterben, in eine kulturelle Zwangspause geschickt zu werden, vorerst zumindest nicht. Aber was alle Kultur vereint, ist, das sie nährt, geistiges und geistliches Futter gibt, gegen die Angst, gegen die Angst vor der Tatsache, dass alles Leben aufs große Ganze gesehen irgendwie nicht “systemrelevant” ist. Und was, wenn diese Angst zur Pandemie wird?“
Wolfgang Teichert I Leiter der VCH Akademie
Die Kanzlerin hatte das Bild schon vor vier Jahren bei der Griechenlandkrise gebraucht. Jetzt holen es die Ministerpräsidenten Laschet und Kretschmann wieder hervor – wie im einstimmigen Chor: Man muss „auf Sicht fahren“. Und der Spiegel kommentiert: „Eine Politik, die auf Sicht fährt, die vorsichtig einzelne Maßnahmen abwägt und dann durchsetzt, hat sich bewährt in dieser Krise. Genauso handelt die Kanzlerin schon lange. Wurde ihr das immer wieder als Visionslosigkeit angekreidet, zahlt es sich jetzt aus. Der Kampf gegen das Coronavirus fordert Bedachtsamkeit, Augenmaß“.
„Auf Sicht fahren“ ist ursprünglich ein Bild aus der Sprache des Zugverkehrs. Bei Nebel. In der Amtssprache für Lokführer bedeutet „auf Sicht fahren“, „dass bei der Bewegung eines Fahrzeugs der Fahrzeugführer zumindest anteilig selbst durch Hinsehen feststellt, dass die Fahrt gefahrlos möglich ist“. „Anteilig selber sehen“
Nun also auch in der Politik: Wer „ auf Sicht fährt“ verlässt sich also mehr auf den eigenen Augenschein; weniger auf technische Instrumente zur Navigation. Denn die Sicherungssysteme, durch die sonst alles so herrlich gesteuert wurde, funktionieren nicht. Man fällt auf sich selbst zurück und wird der der eigenen Urteilskraft und Intuition vertrauen. Nur kein blinder Aktionismus oder politischer Opportunismus!
„Auf Sicht fahren“ also schätzt die eigene Augennähe und ermutigt zu eigenem, jetzt eher nachbarlichen Wahrnehmen; gerade dann, wenn man nicht nur TV oder Radiosendungen oder Zeitungen vertrauen will und kann. “Mal sehen, was kommt”, sagt der Nachbar. „Abwarten und Tee trinken“ fügt seine Frau Sprichwort-weise hinzu und winkt freundlich mit der Tasse über den Zaun. Auch sie also fahren auf Sicht. Einfach finde ich das nicht. Und ich weiß: Viele benötigen zumindest eine Vorstellung von dem, was vor ihnen liegt. Nur immer den nächsten Schritt zu sehen fällt schwer. Die Tage „ziehen sich“ klagt einer am Telefon.
Auf Sicht fahren ist gleichwohl ein sprechendes Bild: Es trifft auf alle zu. Miteinander sprechen ohne Erregungssteigerung, Unbestimmtheit hinnehmen, nicht genau wissen wie es in zwei bis drei Monaten aussieht: Auf Sicht, auch das kann verbinden. Erst einmal.
Wolfgang Teichert I Leiter der VCH Akademie
Wir sind taktile Wesen und brauchen Berührung. Meinetwegen auch vorsichtige Berührung. Jedenfalls Analoges statt nur Digitales: Es sind diese einfachen Tatsachen, die in diesen Tagen ratlos machen. Weshalb man sie gerne zur Seite schiebt. Oder ihre Beantwortung delegiert. Offensichtlich entlastet es ungemein, sich von Experten erklären zu lassen, wie gefährlich gegenseitige Berührung ist.
Aber: Was es heißt, jemandem nahe zu sein, wissen wir nicht. Man möchte jedenfalls das Geheimnis jenes Blicks nicht entbehren, dem das, was sich ihm darbietet, nicht in abstandsloser Gleichförmigkeit verharren lässt. Man will sich rühren und berühren lassen. Aber geht das noch. Gibt es “Berührung-auf-Distanz”?
Was wird aus Herz und Hand oder dem Kuss, deren Berührung in die Virtualität verdammt zu sein scheint? Zu einem Berühren, das kein Be- und Angreifen sein soll, keine Inbesitznahme, gehört der Takt, das Gespür für Respekt und die angemessene Balance zwischen Nähe und Ferne; endlich das oft so unendlich schwere Vermögen, den Anderen zu berühren, ohne ihn festzuhalten, ohne ihn zu klammern, zu binden. Die Berührung charakterisiert eine Beziehung, die freilässt, die, anders gesagt, die Freiheit des Anderen nicht nur nicht einschränkt, sondern überhaupt erst in Gang setzt. Und von der Gesundheit her gesehen entsteht unser Immunsystem überhaupt erst durch Berührung, wie wir von Babys wissen. Aber auch bei Erwachsenen wird das Immunsystem gestärkt über biochemische Wirkungsketten, die auf der Oberfläche der Haut beginnen. Sie wandern durch den ganzen Körper.
Der halbdokumentarischen Film „Touch Me Not“ zeigt denn auch radikal, was Berührung bewirken kann. Eben auch geistige Berührung gehört dazu durch Bücher, Musik oder Kunst. Wenn wir uns durch Gedanken berühren lassen, ist der Körper immer unmittelbar beteiligt, sichtbar schon daran, wie oft man sich beim Lesen durchs Gesicht fährt.
Gottes Zeigefinger berührt Adams Finger fast. Die Pointe ist: So springt der Lebensfunke körperlich über. Wir wissen inzwischen durch heiße Debatten, dass Berührung auch missbraucht werden kann. Sie ist nicht zu erleben ohne Doppeldeutigkeit. Darum zu Beginn der Hinweis auf Respekt und Takt: Aber in Abwandlung eines philosophischer Satzes gilt heute und jetzt mehr denn je: Ich berühre und werde berührt, also bin ich.
Wolfgang Teichert I Leiter der VCH Akademie
Bachkantaten sind meist dem täglichen Erleben und Leben und der Zeit abgerungen, auch wenn sie Auftragsarbeiten waren. Bereits der junge Komponist hat sich an Themen getraut, die untypisch sind für junges Lebensalter. Ich spreche jetzt von einer Kantate, der Günter Jena, einst Organist und Chorleiter an Hamburgs Michel, Zeit seines Lebens und nun in einem, wie er betont, letztem Buch große Zuwendung geschenkt hat und nun wieder schenkt: “Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ heißt diese Kantate, ein reifes Werk über Tod und Leben.
Hinter diese Komposition stehen für Bach und seine zweite Frau große traumatische Verlusterfahrungen: Sieben von ihren dreizehn Kindern sind vor der Zeit gestorben. Bach selber war mit zehn Jahren Vollwaise, und er verlor seine erste Ehefrau auf tragische Weise. Als er vier Wochen von zu Hause abwesend war, hatte er sie in gesundem Zustand zurückgelassen, und bei seiner Rückkehr war sie tot und begraben. Jena nennt sein Buch über diese Kantate mit der Rilke Zeile: Sei allem Abschied voraus. Dies Büchlein klingt wie ein Vermächtnis des Dirigenten Günter Jena: „Ich habe ein langes Leben hinter mir. Da ist es naheliegend, dass ich mich an Musik halte, wenn ich über meinen Tod nachdenke, der nach menschlichem Ermessen nicht mehr allzu lange wartet“.
Für ihn (und eben auch für Bach) vollzieht sich Musik in einer Sprache, die ausspricht, „was im Menschen oft „ selber stumm“ bleibt und ist. Denn „Gottes Zeit“, so Jena, „ist anders als die Zeit unserer Wahrnehmung, als Menschenzeit“. Als Zeit ohne Zeit gehöre sie „in eine andere Welt als die unsres Erlebens.“. Sie verweist auf „absolut Anderes“. Allerbeste Zeit?
Das können wir nicht verstehen, so der erfahrene Dirigent, wenn wir an sinnloses Sterben und Krieg und Krise denken. Mit Rilke fragt er dann auch sich und die Bachmusik: „Vielleicht ist das Schreckliche im tiefsten Grund das Hilflose, das von uns Hilfe will.“. Und er schließt: „Das Bedrohliche am Tod ist unsere Angst vor ihm. Wenn wir den Tod mit Hoffnung un Vertrauen zur eigentlichen, freundlich gesonnen Bestimmung wachküssen, sind wir jeder Angst vor dem letzten Abschied voraus.“ Bach jedenfalls sei dem Abschied voraus mit dieser Kantatenmusik so, als läge der Abschied hinter ihm, „wie der Winter, der eben geht“(Rilke)
Wolfgang Teichert I Leiter der VCH Akademie
Noli me tangere – wer hätte gedacht, dass dies „Rühr mich nicht an“ aus der österlichen Auferstehungsgeschichte zur allgemeinen Abstandsregel wird in Krisenzeiten. Aber diese Tendenz, sich nicht (mehr) berühren zu lassen, hat es bereits vor der Krise unter uns gegeben.
Zwar konnte einem auffallen, wie viel mehr als früher man einander umarmte und küsste, wenn man sich traf. Aber das war nur die eine Seite (wie man in Elisabeth von Thaddens eindrücklichen Buch: Die „berührungslose Gesellschaft”. C.H.BECK nachlesen kann): „Wir spätmodernen Individuen“, schreibt sie, „hatten uns gründlich abgedichtet, mit einer undurchdringlichen Siegfriedshaut, Ohrstöpsel eingesetzt, Blick aufs Smartphone gesenkt, unstörbar, um allen Wettbewerben gewachsen zu sein.“
Sich unverletzbar machen, nicht beeinflusst werden durch, wie in USA schon lange so genannte toxic people, „giftige Personen”. Das sind in den Augen der Erfinder dieses Wortes, Menschen im eigenen Umfeld, die giftig wirken und einem das Leben schwer machen. „Im Tonfall der Besorgnis werden im privaten Umfeld plötzlich lauter “Messies” und “Autisten” ausgemacht, die sich “neurotisch” oder “schizophren” verhalten“, berichtet vor drei Jahren die Journalistin Nina Pauer (ZEIT Nr.19/2017).
All diese Erscheinungen beschreiben einen epochalen Wandel, der in diesen Zeiten verstärkt wird. Schauplatz ist immer unser Körper. Wo bleibt, fragt von Thadden, jenes sprichwörtliche „Fingerspitzengefühl“, das wir doch kennen. Es ist jene wunderbare Balance zwischen: Wer darf nah kommen? Wer muss fernbleiben?
Aber zugleich herrscht (berechtigte) Angst vor unfreiwilliger Nähe. Aufpassen auf den richtigen Abstand auf der einen, aber eben auch Angst vor Einsamkeit auf der anderen Seite. Es kann einen schon anrühren, dies ewige Balancieren zwischen Verletzlichkeit und Einsamkeit, Vorsicht und Sehnsucht.
Fingerspitzengefühl? Es wäre wohl weiterhin der wache Respekt vor dem anderen Menschen und damit die erste und vornehme Tugend des menschlichen Herzens. Taktgefühl hieß das einmal (Plessner), einziges Mittel, „den geselligen Verkehr möglich und angenehm zu gestalten, weil sie nie zu nah noch auch zu fern kommt.”
Wolfgang Teichert I Leiter der VCH Akademie
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